Chrisoph Moinian, Hornist des Ensemble Acht, befragte den spanischen Komponisten Oriol Cruixent.
Chrisoph Moinian: Was mich zuerst einmal interessiert - Wie sind die Ausbildungsmöglichkeiten in Spanien für Kinder? Haben Sie ein ähnliches Musikschulsystem wie in Deutschland?
Oriol Cruixent: Was meine Ausbildungsgeneration gekennzeichnet hat, war die Möglichkeit, schon als Kind nach bestandener Aufnahmeprüfung auf eine Hochschule für Musik zu gehen. Musikschulen, meist privat, gibt es natürlich auch. Der Vorteil daran ist, dass man schon mit neun bis zehn Jahren an einer Hochschule ist; die allgemeine musikalische Ausbildung beginnt früher und ist somit ausführlicher und intensiver. Die Nebenfächer werden nicht als solche behandelt. Um zum Beispiel Komposition studieren zu können, musste man sechs Jahre Solfège und Musiktheorie, vier Harmonielehre, zwei Kontrapunkt und ein Jahr Fuge abgelegt haben. Dazu noch sechs Jahre Klavier. Das ist natürlich undenkbar, wenn man nicht frühzeitig anfängt. Seit einigen Jahren hat man die Studienordnungen leider verändert und an Europa angepasst, was ich, in diesem Fall, sehr bedauerlich finde.
Haben Sie schon als Kind oder Jugendlicher mit dem Komponieren begonnen? Und warum haben Sie damit angefangen?
Jedes „Komponieren“ beginnt durch Suchen und Improvisieren am Instrument. Tatsächlich habe ich bereits als Kind kleine Sätze geschrieben. Für Klavier oder Klavier und Geige. Sogar Trios oder Chorsätze. Der Drang, etwas eigenes zu schöpfen, hat mich dazu motiviert.
Was hat Sie aus Barcelona nach Deutschland verschlagen, war es nur die Musikalische Ausbildung oder gab es da noch andere Affinitäten?
Noch während meines Klavier- und Musiktheoriestudiums in Barcelona nahm ich Unterricht beim ehemaligen GMD in der „Liceu“-Oper in Barcelona, Uwe Mund. Von meiner Absicht, Komposition zu studieren, wissend, hat Herr Mund mich Herrn Prof. Dieter Acker in München ausdrücklich empfohlen. Er hat nämlich eine seiner Symphonien in Japan uraufgeführt und sah in ihm den perfekten Wegbegleiter für meine weitere Ausbildung. Der leider kurz nach meinem Meisterklassenpodium verstorbene Prof. Acker hat mir tatsächlich neue Horizonte eröffnet und mir vor allem stets erlaubt, ich selbst beim komponieren zu sein und meine eigene Stimme zu finden. Ich hätte es mir gar nicht anders vorstellen können. Für mich war das Komponieren ja ein ganz intimer, ehrlicher Prozess. Authentizität und Respekt für die Tradition sind meines Erachtens nach enorm wichtig.
Sie leben seit einigen Jahren in Berlin. Was fasziniert Sie an dieser Stadt?
Ich habe 9 Jahren in München gelebt und bin erst seit 2008 in Berlin. Für mich ist das ein absolut logischer Schritt nach München gewesen. Berlin besitz, wie Barcelona, diesen Duft nach Metropole, das kulturelle Angebot ist riesig, die Mentalität offen und spontan. Berlin ist eine extrem lebendige Stadt; als Großstadtkind bedeutet mir Berlin in irgendeiner Weise die Rückkehr nach Barcelona.
Sie sind ein vielseitig ausübender Musiker - zurzeit meines Wissens als Korrepetitor an der Deutschen Oper in Berlin - wo liegen Ihre persönlichen Schwerpunkte, hat irgendeine Tätigkeit Priorität?
Ich war als musikalischer Assistent und Solo-Repetitor im Prinzregententheater drei Jahre lang in München tätig. Derzeit widme ich mich ausschließlich der Komposition. Die Bindung an eine Stelle ist schwer kombinierbar mit der nötigen Freiheit des Schöpfens. Das Komponieren steht also absolut im Vordergrund meines Lebens. Gelegentliche aktive Mitwirkungen in ausgewählten Projekten sehe ich aber durchaus als eine sehr reizende Erfahrung, was das Komponieren wieder anregt und bereichert. Demnächst bin ich beispielsweise als „Pianofortiste“ bei der Produktion „Le nozze di Figaro“ in Rouen und Versailles unter Oswald Sallaberger tätig. Das aktive und kreative Musizieren und der Kontakt zu anderen Musikern ist ein sehr wichtiger Ausgleich zur einsamen Tätigkeit des Komponisten.
Ihr kompositorisches Werk umfasst sowohl Orchesterwerke, einige Kompositionen für Chor, eine Oper und auch Kammermusik. Was fasziniert Sie an Kammermusik?
Erlauben Sie mir ausnahmsweise mit einer Gegenfrage zu antworten: Warum hat der Mensch angst vor der Einsamkeit? Wir suchen ständig Interaktion untereinander, um uns lebendig zu fühlen. Auf die Musik übertragen könnte man wohl sagen, dass man Musik immer als Kammermusik verstehen sollte. Man kann eine Bach Partita für Violine Solo kaum interpretieren, wenn man sie nicht als Kammermusik versteht, wenn man nicht dialogisieren kann. Musik im allgemein bedeutet also immer Dialog, Zusammentun, aufeinander hören.
Lieber Oriol Cruixent, wir sind sehr gespannt auf Ihr Stück. Sie sind Katalane, und da interessiert es natürlich, ob die Wurzeln Ihres kompositorischen Schaffens generell und für unser Stück im Besonderen auch dort liegen, etwa in der Volksmusik, oder haben Sie ganz andere Vorbilder?
Ich versuche in meinen Werken immer die Universalität der Gefühle zu finden, und wie sie die Menschen wahrnehmen bzw. empfinden. Die Authentizität des Menschen zu verfolgen, zu treffen. Finden, was uns vereint. Meine Wurzeln kann man aber sicher erkennen, aber wahrscheinlich nicht als konkrete Motivik wie bei Bartók, sondern eher als ein allgemeines Licht, das meine Werke prägt. Das warme Licht der Küste oder die Stimmung des Meeres sind unzertrennbare Elemente, die mich als Mensch ausmachen und dadurch auch meine Werke.
Wir konnten Sie gewinnen, ein Stück für unser Oktett zu schreiben. Das hätten Sie sicher nicht getan, wenn die Besetzung nicht gereizt hätte. Was fasziniert Sie an dieser Formation?
Schubert verbesserte die Klangbalance der Septettbesetzung Beethovens durch Hinzufügen einer zweiten Geige. Somit näherte er den gesamten Klang dem des Orchesters an. Genau das finde ich faszinierend, mit dieser einzigartigen Besetzung tatsächlich über die Essenz eines Orchesterklanges zu verfügen.
Der Titel des Stückes steht schon fest - es soll „Achterbahn“ heißen. Können Sie uns schon einmal verraten, was es damit auf sich hat?
Mehrdeutigkeit ist eine der reizendsten und interessantesten Möglichkeiten jeder Sprache. Es handelt sich hiermit um ein Oktett, also acht Individuen. Das Ensemble heißt ja „Acht“. Da schien es mir sinnvoll, das Werk als eine fantastische Reise zu gestalten durch verschiedene Welten und Stimmungen. Was ist das denn sonst, wenn nicht eine wahre Achterbahn?
Uraufführung im Jenisch Haus
Eine wirkliche Achterbahn-Fahrt
von Christoph Moinian
In der „Spanischen Nacht“, dem diesjährigen Sommerkonzert am 11. und 12. Juni 2010 im Weißen Saal des Jenisch Hauses, war das neue Auftragswerk des Vereins kammermusik heute e.V. zu erleben: Eine Komposition des jungen Katalanen Oriol Cruixent. Der Titel war Programm „Achterbahn“, gewidmet dem ensemble acht.
Für uns Musiker heißt das Erarbeiten einer Uraufführung immer, spannendes musikalisches Neuland zu betreten. Diesmal war schon die individuelle Vorbereitung Wochen vor dem Konzert aufregend und anspruchsvoll. Aus den einzelnen Stimmen und der Partitur war zu entnehmen, dass dies ein besonders temperamentvolles und für die Physis sehr anstrengendes Werk ist. Die „Achterbahn“ nahm von Beginn an ein besonders hohes Maß an Konzentration in Anspruch.
Das Werk ist von Anfang an extrem dicht komponiert; rhythmische Ostinati in den Streichern ziehen sich durch weite Strecken des Stücks überlagert von immer wiederkehrenden Motiven der Bläser. Assoziationen an eine wirkliche Achterbahnfahrt drängen sich auf. Den erhöhten Puls der Mitfahrer kann man förmlich spüren. Das Stück beginnt äußerst leise und steigert sich zunehmend in extreme Lautstärken. Wie im richtigen Leben also. Wir hatten wirklich Sorge, dass sich das Publikum im Jenisch Haus von der Lautstärke überrollt fühlen könnte. Allerdings gibt es in der fünfzehnminütigen Komposition auch zwei ruhige Einschübe, die wie Traumsequenzen wirken.
Die Probensituation wurde entspannter, als Oriol Cruixent zu unseren Proben dazustieß. Er ermutigte uns, der Dramaturgie des Stücks mit Leidenschaft und Überzeugung zu folgen. Der Spaß für Spieler und Publikum sollte im Vordergrund stehen.
Schon bei der Voraufführung für Mitglieder des Vereins kammermusik heute e.V. sowie an beiden Konzertabenden ließ sich das Publikum gerne von der kindlichen Begeisterung über eine rauschende Achterbahnfahrt anstecken.
Oriol Cruixent hat ein effektvolles und sehr besonderes Oktett geschaffen. Mit seiner sympathischen Art hat er bei Publikum und Musikern einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Wir wünschen dem jungen Komponisten weiterhin viel Glück und Erfolg!