Andreas Mildner: Herr Sieber, nach Ihrem Studium als klassischer und Jazzgitarrist beschlossen Sie, Komposition zu studieren. Wie kam es dazu?
Adrian Sieber: Dies hat verschieden Gründe. Einerseits stamme ich ja aus einer „klassischen Musikerfamilie“, d.h. ich habe mich der klassischen Musik und ihrer Entwicklung stets verbunden gefühlt, auch habe ich neben meiner Tätigkeit als Gitarrist schon während meiner Schulzeit in einem eigenen Studio Hörspiele produziert, für die ich auch die Musik komponierte.
Andererseits bin ich während meines Studiums relativ bald auf die - vor allem im formalen Verlauf - relativ eindimensionale Struktur von Jazzkomposition aufmerksam geworden, welche natürlich für eine gelungene Improvisation in einem harmonischen Kontext zwingend erforderlich ist. Strukturell gesehen war mir das Grundgerüst zu eng. So wuchs in mir der Wunsch, mich tiefer mit der Kompositionskunst auseinanderzusetzen.
Sie sind ein äußerst vielfältiger Komponist und schreiben u.a. Schauspiel- und Filmmusiken, aber genauso Elektropop und „Neue Musik.“ Gibt es da unterschiedliche Herangehensweisen?
Sowohl Musik für Film als auch für das Theater ist, so kunstvoll sie auch gestaltet sein mag, „Gebrauchsmusik“, das heißt eine illustrative Musik, die von diversen außermusikalischen Dingen abhängt und einem übergeordneten Hauptzweck dient. Je weniger der Zuschauer die Musik bewusst wahrnimmt, desto besser funktioniert sie. Hierfür ist es für mich durchaus legitim, sich verschiedener Genres und Stilmittel zu bedienen, wobei ich stets bemüht bin. auch hier meine eigene Tonsprache einfließen zu lassen.
Im Gegensatz zur Musik im Film und dem Theater unterliegt die Musik, die konzertant erklingt, wesentlich weniger Zwängen. Das Hauptaugenmerk des Zuhörers liegt auf der Musik allein. Hierdurch ist man deutlich freier und kann die Grenzen selbst ausloten.
Was bedeutet für Sie „Neue Musik“?
Spricht man von neuer oder zeitgenössischer Musik, spricht man von Musik, die im „Jetzt“ geschrieben wird, dementsprechend muss sie natürlich in irgendeiner Art „neu“ sein. Für mich bedeutet das, dass die Musik reflektiert ist. Wenn ich etwas höre, was stilistisch nach etwas schon Dagewesenem klingt (dies kann z.B. Bach, Schönberg, Cage oder Lachenmann sein), so ist es keine neue Musik sondern Anwendung von Tonsatz, wie modern er auch sein mag. Die Einflüsse und Mittel, die man verwendet, muss man in sich aufsaugen, reflektieren und verarbeiten, hierdurch entwickelt man seine eigene Tonsprache und damit automatisch „neue Musik“.
Was ist das „Neue“ an ihrem Stück „F 3, 5“ für Harfe und Flöte, welches Bezug auf eine Violinsonate von Mozart nimmt?
Ich suche nicht durch moderne Spieltechniken oder Klangeffekte nach etwas Neuem, sondern über die Verarbeitung musikalischen Materials. Durch den Mozartbezug bin ich natürlich eingeschränkt, allerdings ist es auch sehr spannend, mit einigem Material aus der Sonate umzugehen und zu beobachten, was im Verlauf des Stückes mit den Motiven passiert. Auch versuche ich eine einheitliche Klanglichkeit zu schaffen.
Wird man Mozart erkennen?
Ich habe mich wie gesagt von verschieden Motivideen aus der Violinsonate leiten lassen. Dies sind Begleitstrukturen, aber auch melodisch- rhythmische Motive, mit denen ich in meinem Stück frei umgehe. Das heißt ich zitiere nicht, sondern benutze hauptsächlich den Gestus der einzelnen Motive und übersetze sie in eine eigene Klangsprache. Aber natürlich wird man Mozart erkennen.
Verraten Sie uns doch, wie es zu diesem Titel gekommen ist.
Wenn sich ein Stück vom musikalischen Grundmaterial auf ein anderes bezieht und dies nicht über eine außermusikalische Idee passiert, dann empfinde ich „neutrale“ Titel wie Sonate, Fantasie, Scherzo etc. als passend. Solche Titel beziehen sich aber auf den formalen Ablauf eines Stückes. Nun liegt bei meinem Stück keine feste Form zu Grunde, daher habe ich einen auf eine andere Art neutralen Titel gewählt. Ich möchte dem Zuhörer seine Fantasie nicht durch außermusikalische Betitelungen nehmen, die den Höreindruck auf irgendeine Art prägen könnten.
Und was bedeutet F 3, 5?
Mozart schrieb seine Sonate KV 301 1778 in Mannheim, der einzigen deutschen Stadt, die in Planquadrate unterteilt ist. Die Hausnummer des Hauses, in dem Mozart damals lebte und die Sonate schrieb ist F 3, 5.
Zur Person Adrian Sieber
Adrian Sieber studierte Jazz- und klassische Gitarre am Richard Strauss Konservatorium München bei Peter O´ Mara und Barbara Polasek und anschließend Komposition bei Heinz Winbeck an der Musikhochschule Würzburg.
In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche seiner Solo- und Kammermusikwerke aufgeführt und von Rundfunkanstalten BR, SWR, WDR oder ORF mitgeschnitten. Adrian Sieber machte durch zwei Operproduktionen auf sich aufmerksam. So wurde er im Januar 2006 für seine Kurzoper „Tod eines Schneiders“ mit dem zweiten Preis beim „Berliner Opernwettbewerb 2006“ ausgezeichnet. Auch seine Filmmusiken erhielten Preise, wie den Findling-Preis des Bund Deutscher Filmautoren oder den Filmpreis des Medien Campus Bayern.
Im Jahr 2009 verbrachte er als Stipendium des Freistaats Bayern einen sechsmonatigen Studienaufenthalt an der Cité des Arts in Paris. Seit 2010 unterrichtet Sieber an der Universität Bamberg Gehörbildung, Arrangement und Tonsatz.
Adrian Sieber erhielt verschiedene Kompositionsaufträge für Kammermusik oder auch Schauspielmusiken. Allein in der Saison 2010/11 schrieb er vier Schauspielmusiken für das Stadttheater Augsburg.
Werkauswahl:
Gedankenwege, für Sprecher, Bariton und Orchester (2003)
Vier kleine Stücke, für Streichquartett (2004)
Konzert, für Liveelektronik und Ensemble (2005)
Fegefeuer in Ingolstadt, für Kammerensemble (2006)
More, für Orchester und Altstimme (2007)
Gentzgasse, für Harfe und Tuba (2008)
Ungargassenland, für Streichquartett (2008)
Vertigo, Kammeroper (2009)
Fantasie II, für Klavier allein (2009)
Fantasie III, für Alt-Saxophon, Geige und Klavier (2010)