Selkis Riefling


Uraufführung
24. Oktober 2008
Hamburg, Jenisch Haus, Museum für Kunst und Kultur an der Elbe
ensemble acht


Interview mit Selkis Riefling
Geigende Komponistin – komponierende Geigerin

Im Auftrage des Vereins kammermusik heute e.V. schreibt die Geigerin und Komponistin Selkis Riefling ein neues Werk. Selkis Riefling wurde von Stefan Schäfer zu ihrem Werdegang und ihrem Kompositionsvorhaben befragt.

Stefan Schäfer: Ihre Biografie verrät, dass Sie bereits im Alter von 12 Jahren erste Kompositionsversuche unternommen haben. Sie waren Bundespreisträgerin des Bundeswettbewerbs „Schüler komponieren“. Wie ist es dazu gekommen, bereits als Schülerin zu komponieren? Gab es da vielleicht Vorbilder in der eigenen Familie? Wurde man in der Schule mit dieser Vorliebe kritisch beäugt?

Selkis Riefling: Ich stamme zwar aus keiner Musikerfamilie (meine Eltern sind Chemiker), trotzdem haben wir zu Hause viel klassische Musik gehört und Opern- sowie Konzertbesuche standen oft auf dem Programm. Den ersten Impuls zum Komponieren bekam ich durch meine Klavierlehrerin, die mir als Hausaufgabe aufgab, einen Walzer zu schreiben. Danach sollte ich jede Woche durch kleine Stücke ein bestimmtes Tier charakterisieren und dazu jeweils ein Bild malen. Das fiel mir anfangs sehr schwer, machte dann aber zunehmend immer mehr Spaß. Es folgten dann eine ganze Reihe von Klavierstücken, die sich natürlich sehr bald nicht mehr nur um Tiere drehten. Mit 15 Jahren nahm ich dann den ersten Kompositionsunterricht (bei Cord Meijering in Darmstadt). Dort lernte ich endlich mit meinen Ideen umzugehen, denn vorher hatten alle Stücke noch eher intuitiven und freien Improvisationscharakter.

Die Reaktionen in der Schule waren unterschiedlich. Einige zeigten großes Interesse, die meisten aber gar keines. Ich denke, bei vielen war es eine Mischung aus Bewunderung und Unkenntnis.

Viele Komponisten haben mit einem Schulmusik- oder Instrumentalstudium begonnen, und danach erst ein Kompositionsstudium angeschlossen. Sie haben 2002 mit einem Doppelstudium Komposition und Violine an der Hochschule in Saarbrücken begonnen. Hat sich das gut vereinbaren lassen? Wo lag damals der Schwerpunkt?

Der Schwerpunkt lag damals eindeutig beim Komponieren. Von den zwei Jahren, in denen ich in Saarbrücken war , habe ich nur in einem Jahr beide Fächer gleichzeitig studiert, und selbst in diesem Jahr habe ich nur sehr wenig Geige üben können, weil das Kompositionsstudium mich so vereinnahmt hat.

Seit 2005 studieren Sie in Hamburg „nur noch“ Violine. Hat sich der Schwerpunkt verschoben? Oder hat das ganz andere Gründe?

Seitdem ich in Hamburg studiere, konzentriere ich mich mehr auf mein Geigenstudium und schaffe es oft nur in den Semesterferien, das Komponieren in den Mittelpunkt zu stellen. Beides gleichzeitig mit vollen Kräften anzugehen, lässt sich für mich allein vom Zeitaufwand nur schlecht bewältigen, denn ich möchte den Anforderungen, die ich an beide „Disziplinen“ stelle, gerecht werden. Das gelingt mir meist dann am besten, wenn ich mich entweder auf das eine oder das andere besonders konzentriere. Der Schwerpunktwechsel vor drei Jahren hatte verschiedene Gründe: zum einen hatte ich nach 7 Jahren Kompositionsunterricht nicht mehr das gleiche Bedürfnis nach einer regelmäßigen Kontrollinstanz, d.h. ich entwickle mich mittlerweile auch mit Hilfe der Werke aller (guter) Komponisten selbständig weiter. Zum anderen resultierte aus der Begegnung mit vielen anderen jungen Instrumentalisten der Wunsch, mein Geigenspiel weiterzuentwickeln. Aufgrund der besseren Beherrschung eines Instruments kommt schließlich die Aussicht auf eine Orchesterstelle hinzu, die einem zu einem künstlerisch erfüllten Berufsalltag noch eine solidere finanzielle Basis bietet als das ausschließliche Komponistendasein, denn als Dozentin eines Theoriefaches oder als Kompositionslehrerin sehe ich mich bislang nicht.

Was ist Ihnen „wichtiger“ – Komponieren oder Spielen? Wie könnte das berufliche Ideal für Sie als „geigende Komponistin“ aussehen?

Auf keinen Fall möchte ich auf eines von beiden verzichten. Daher strebe ich den Beruf einer Orchestermusikerin an und habe so hoffentlich die Möglichkeit, auch als Komponistin kreativ zu bleiben.

Wo liegen Ihre musikalischen Wurzeln? Welche Komponisten sind Ihre Vorbilder? Wo würden Sie Ihre Musik stilistisch einordnen?

Am liebsten wäre es mir, man könnte von mir sagen, dass meine musikalischen Wurzeln in alle Musikzeiten und –stile ragen. Dementsprechend habe ich unzählige kompositorische Vorbilder, zu Ihnen gehören alle ganz großen alten Meister, die üblicherweise an solcher Stelle aufgezählt werden. Von den anderen liegen mir besonders Bartok und Henze am Herzen. Im übrigen hoffe ich darauf, dass ein Hörer meiner Musik nicht z.B. sagt: „Das ist jetzt stilistisch irgendwo zwischen einem Webern und einem Skrjiabin angesiedelt“ (wie im übrigen schon geschehen), sondern dass sich ein wirklich eigener Stil heraushören lässt. Diesen versuche ich natürlich fortlaufend weiterzuentwickeln, bzw. zu festigen, wobei ich betonen muss, dass ich nicht befürchte, meine Originalität zu verlieren, wenn ich mich auf all das beziehe, was ich bisher gehört oder studiert habe

Ihr kompositorischer Schwerpunkt liegt bisher in der Kammermusik. Sie haben aber auch bereits für großes Orchester geschrieben. Was fasziniert Sie an der Kammermusik mehr als an anderen Genres?

Dass von mir bislang in erster Linie kammermusikalische Werke vorliegen, resultiert aus der Tatsache, dass man als junger Komponist leider nicht mal eben so ein Orchester (besonders Profi-Orchester) zur Verfügung hat, das einem die entsprechenden Aufträge erteilt oder Aufführungsmöglichkeiten bietet. Die Chance, ein kammermusikalisches oder solistisches eigenes Werk in einer guten Aufführung zu erleben, hat sich hingegen oft ergeben. In diesem Fall wurde ich dann von Instrumentalisten aus meinem Bekanntenkreis (oder solchen, denen eine Aufführung eines meiner Stücke gefallen hatten) angesprochen. Häufig bestand so auch der Wunsch nach einer ganz bestimmten Besetzung, da die Anfrager schließlich einem bestimmten Ensemble angehörten oder ein bestimmter Anlass eine spezielle Formation erforderte. Ich hege für kein Genre der klassischen Musik eine ausgeprägte Vorliebe, eine gute Oper kann für mich die gleiche Bedeutung haben wie ein Streichquartett oder eine Sinfonie. Allerdings glaube ich, dass bei jeder Kammermusik der Dialog zwischen den aufführenden Interpreten gegenüber den anderen Gattungen noch deutlicher im Vordergrund steht, was letzen Endes wohl auch die Freude erklärt, die mir das Musizieren und das Komponieren in diesem Bereich macht.

Was verbirgt sich hinter dem Titel Ihrer neuesten Komposition „Oktett“ ? – Wird das ein „geigenlastiges Stück“?

Ich hoffe nicht! (Jedenfalls versuche ich, jedes Instrument gleich zu behandeln.) Das Stück wird eine Aufführungsdauer von etwa 15 Minuten haben. Im Moment bin ich etwa bei der Hälfte dieses zeitlichen Rahmens angelangt und habe zwar einen „temporären genauen Plan“ für den Gesamtverlauf, aber mit Sicherheit wird sich dieser noch stetig verändern. Denn immer wieder habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich die Musik bis zu einem gewissen Grad selbstständig entwickelt und sich daher nicht von vornherein in eine starres Korsett zwängen lässt. Das Stück beinhaltet einige tänzerische, skurrile, mitunter fast jazzige Teile, die im Kontrast stehen zu flächigen, schwebenden und kantablen Passagen. Verbunden werden diese Teile durch eine dreigliedrige Überleitung, die sich bei wiederholtem Auftauchen eigenständig entwickelt.

Die neue Komposition schreiben Sie für das ensemble acht. Welchen Reiz hat die „Schubert“- Oktettbesetzung mit fünf Streichern und drei Bläsern?

Die Besetzung kommt für mich zunächst fast einem Kammerorchester gleich - zum einen gibt es die drei verschiedenen Bläserfarben, zum anderen die fünf Streicher mit ihrem scheinbar homogenen „Gruppenklang“. Das lädt dazu ein, klanglich immer wieder neu zu kombinieren, wobei besonders die Streicher mit ihrem großen Tonumfang flexibel agieren können.

Sie leben seit relativ kurzer Zeit in Hamburg. Was gefällt Ihnen spontan an der „Hamburger Musikszene“ ? Was fehlt Ihrer Meinung nach in Hamburg, was vielleicht andere Großstädte haben?

Bisher habe ich noch nichts vermisst, ich empfinde das Angebot als sehr reichhaltig, habe allerdings auch nicht so viele Vergleichsmöglichkeiten, da ich bisher noch nie in einer Großstadt gewohnt habe.

aus: impulse Nr. 17, Sept. 2007

Teil 2

kammermusik heute e.V.: Inzwischen haben Sie die geplante Komposition für das ensemble acht fertiggestellt. Ist es bei dem Arbeitstitel „Oktett“ geblieben? Was dürfen die Musiker und das Publikum von dem neuen Werk erwarten?

Selkis Riefling: Es behagt mir nicht, durch einen Titel irgendeine Assoziation hervorzurufen, wenn sie nicht ausdrücklich erwünscht ist. Dies ist auch in diesem "Oktett" der Fall. Die Zuhörer sollten also nicht einen starken intellektuellen Kontext jedweder Art herzustellen versuchen, sie können sich dem Werk so rein sinnlich nähern. Dabei wird den meisten sicherlich auffallen, dass dem ca. 10-minütigen Stück ein eher heiterer, unverzagter Ausdruck zugrunde liegt. Das könnte dann mitunter daran liegen, dass sich (allerdings in äußerst dezenter Weise) einige jazzige oder tangoartige Gesten eingemischt haben. Diesem tanzhaften Element werden einige andere zunächst deutlich abgegrenzte Charaktere gegenübergestellt (skurril - choralhaft - flächig), die zunehmend miteinander verschmelzen.       

Wie lässt sich die Doppelbelastung als Geigerin und Komponistin derzeit vereinbaren?

Für mich ist es besonders wichtig, zum Komponieren einen möglichst freien Kopf zu haben. Das fällt selbstverständlich schwer, solange man noch intensiv ein Instrumentalstudium betreibt, in dem es darum geht, ständig an sich zu arbeiten (in der Hauptsache durch ausgiebiges Üben). Inhaltlich wirkt sich das eigene Musizieren (egal ob Violinliteratur, Kammer- oder Orchestermusik) natürlich positiv auf meine kompositorische Arbeit aus, trotzdem empfinde ich es oft als unangenehm, wenn ich z.B. aus terminlichen Gründen gezwungen bin, Geigen und Komponieren in schnellem Wechsel zu "betreiben".

Welche neuen Kompositionsprojekte stehen jetzt an?

Zunächst hab ich das große Glück, für die Kammermusikreihe der Hamburger Philharmoniker ein Streichsextett schreiben zu dürfen. Dieses Stipendium der Philharmoniker und des Hotel Louis C. Jacob ermöglicht es mir, das Werk während eines Hotelaufenthaltes zu entwerfen und niederzuschreiben. Daneben möchte ich einigen persönlichen "Kompositionsaufträgen" für befreundete Musiker nachgehen, die mir seit langem auf der Seele brennen.

aus: impulse Nr. 19, Sept. 2008

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Vita – Selkis Riefling

Selkas Riefling wurde 1983 in Darmstadt geboren und spielt seit ihrem 7. Lebensjahr Geige. Als 12-jährige begann sie mit dem Komponieren und erhielt drei Jahre später ihren ersten Kompositionsunterricht bei Cord Meijering. Im Jahr 2000 wurde sie Preisträgerin des Bundeswettbewerbes "Schüler Komponieren". 2002 nahm sie ihr Kompositionsstudium bei Theo Brandmüller und ein Geigenstudium bei Pierre-Eric Monnier in Saarbrücken auf. Kompositorische Anregungen erhielt sie u.a. von Toshio Hosokawa und Moritz Eggert. 2003 war sie Stipendiatin der "Da Ponte-Stiftung". Seit 2005 studiert sie Violine in der Klasse von Prof. Christoph Schickedanz an der Hamburger Musikhochschule. Ihre Werke wurden u.a. beim SR-Festival "Musik im 21.Jahrhundert" und bei den "Tagen für Neue Musik" in Darmstadt aufgeführt. Aufnahmen liegen beim Hessischen und Saarländischen Rundfunk vor.

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